Optimistische Zinsprognosen für 2024 führen die Börse in eine Übertreibungsphase
In der letzten Monatsausgabe hatte ich Ihnen geschrieben, dass die Hypotheken für Gewerbeimmobilien in den USA und Europa sehr anfällig für Zinssteigerungen sind und steigende Zinsen zu erheblichen Wertberichtigungen führen.
Der Herengracht Index zeigt das Maß der Übertreibungen unseres Geldsystems
Jeder Investor in Immobilien, vor allem jene die glauben, dass die Immobilienpreise langfristig nur steigen können, sollten im Blick behalten, dass langfristig schwache Immobilienpreise nicht so außergewöhnlich sind. Langfristige Daten für Großstadt-Immobilienpreise sind sehr schwer erhältlich, doch in Amsterdam gibt es seit dem frühen 17. Jahrhundert eine Straße am „Herengracht Kanal“, deren Häuser seit Jahrhunderten ihre Besitzer wechseln und deren Preise sehr gut dokumentiert wurden.
Dabei hat Professor Eichholtz festgestellt, dass sich die realen Hauspreise in Amsterdam zwischen 1628 und 1973 nicht verändert hatten:
Piet Eichholtz – Ein langfristiger Hauspreisindex: Der Herengracht-Index, 1628-1973 (links: Nominalpreisindex, rechts: Realpreisindex (inflationsbereinigt) unverändert !!!
Herengracht index heute:
Während die 1996 veröffentlichte Untersuchung von Prof. Eichholtz die Entwicklung der Immobilienpreise bis 1973 aufzeigt, hat Matthijs Korevaar in seiner Dissertation zum Doktoranten der Maastrich Universität, die Entwicklung bis 2020 weiterverfolgt und so eine extreme Abweichung von der „Normalität“ festgestellt, bei der die Hauspreise deutlich stärker stiegen als die Mieten.
Der größte Auslöser dafür war die Geldpolitik der Niedrigzinsen, seit der Finanzkrise 2008. Seit 2015 – verdoppelten sich die Immobilienpreise in Amsterdam von 250.000 auf >500.000 €. Laut Korevaar haben verschiedene Zentralbanker davor gewarnt, dass eine längere Phase niedriger Zinsen zu einem Überschwang bei den Wohnungspreisen führen könnte.
Allerdings dürfte das Problem mit überbewerteten Immobilien in Nordamerika und Europa noch viel größer sein als gemeinhin befürchtet wird. So zeigen ultralangfristige Immobilien-Indizes, wie der Herengracht Index, dass wir uns bei den realen inflationsbereinigten Immobilienpreisen derzeit in der Nähe von extremen 400-Jahreshöchstständen befinden, die sich historisch gesehen stets bereinigt haben. Dabei waren die realen Immobilienpreise in Amsterdam zwischen 1630 und 1980 über mehr als 300 Jahre relativ konstant und spiegelten lediglich die Inflation und Einkommensverbesserungen wider. Erst die uferlose und gedankenlose Geldvermehrung der Zentralbankmächte, die sich seit 2008 und davor mit der Loslösung vom Goldstandard 1971 beschleunigt haben, führten zum Immobilienpreisboom, der das Denken unserer Generation prägte. Dabei bleibt der entscheidende Faktor zur Bewertung nicht die Preisentwicklung, sondern – wie auch bei gewöhnlichen Aktien – der Rückfluss des Kapitals via „Dividenden“ oder im Falle von Immobilien, von Mieten. Wie es Herr Korevaar beschreibt:
„Für alle Investorengruppen ist die Feststellung wichtig, dass sich alle langfristigen Immobilienrenditen eher aus Mietrückflüssen als aus Kapitalgewinnen ergeben. Selbst nominal machen Kapitalgewinne nur einen geringen Teil der Gesamterträge aus. Natürlich sind die Kapitalerträge kurzfristig aufgrund von Änderungen der Zinssätze und der Erwartungen für das künftige Zinswachstum erheblich, aber langfristig sind diese Änderungen von geringer Bedeutung.“
Explosive Immobilienpreissteigerungen sind eine seltene Ausnahme
Tatsächlich tritt dieses Phänomen von explosiven Land- oder allgemeinen Aktienpreisen – wie wir sie seit der Jahrtausendwende und beschleunigter Form nach der Finanzkrise 2008 erleben – historisch betrachtet immer dann auf, sobald die Zinssätze unter 2% sinken.
Das stellte auch ein weitsichtiger Finanzexperte vor mehr als 100 Jahren fest. Der ehemalige Redakteur des Economist Walter Bagehot beschrieb schon in seinem bedeutendsten Werk „Lombard Street 1873“, wie Zentralbanken als Kreditgeber der letzten Instanz eine Krise beenden sollten.
Für den US Ex-Notenbanker Ben Bernanke und Timothy Geithner, den ehemaligen Vorsitzenden der Federal Reserve Bank von New York (2003-2008) und gleich darauffolgend US-Finanzminister (2009-2013), gelten Bagehots Thesen aus Lombard Street heute als eine Art Bibel für Zentralbanker, welche die extreme geldpolitische Lockerung und Rettungsmechanismen nach der Finanzkrise 2008 rechtfertigen sollen.
Wie die Financial Times in einer Kolumne „What Bagehot said…“ von 2012 betonte:
„Bagehots vierte Regel lautet, dass die Kreditvergabe der Zentralbank in einer Finanzkrise zu einem Strafzins erfolgen sollte: Niemand - kein Unternehmen, kein Manager, kein Händler und ein Investor - sollte am Ende der Krise froh darüber sein, dass er gezwungen war, sich auf den Staat zu verlassen. Dies scheint vor allem zu bedeuten, dass Eigenkapital vernichtet werden sollte, bevor die Zentralbank beginnt, Unterstützung zu Zinssätzen zu gewähren, die in irgendeiner Weise Konzessionär sind.“
Damit plädierte Bagehot – im Gegensatz zu den heutigen Bankiers des „leichten Geldes“ stets für solide Bankgeschäfte, die an erstklassige Sicherheiten geknüpft sein sollten. Bagehot machte stets die einer Krise vorangegangene Geldexpansion und Tiefzinspolitik verantwortlich für die Exzesse, die hernach immer in einem Crash enden müssten.
In einem früheren Artikel für den Inquirer stellte Bagehot bereits im Sommer 1852 fest:
„John Bull", sagt jemand, kann viel ertragen, aber keine zwei Prozent“
Tatsächlich erkannte er, wie ein bedeutender Bankier namens John Fullarton bereits 1844 in seinem Werk: „Über die Regulierung von Währungen“ feststellte, dass bei Zinssätzen unter 2% der Spekulationstrieb angefacht würde und die Menschen lieber „unmögliches“ tun oder Scharlatanen glauben, anstatt ihr Geld zu 2% versauern zu lassen.
Das Bagehot Zitat aus dem Inquirer zeigt es auf:
„Hier kommt die moralische Verpflichtung zum Tragen. Die Menschen wollen keine 2 Prozent, sie wollen keine Einkommensverluste hinnehmen. Anstelle dieses schrecklichen Ereignisses investieren sie ihre vorsichtigen Ersparnisse in etwas Unmögliches - einen Kanal nach Kamtschatka, eine Eisenbahn nach Watchet, einen Plan zur Belebung des Toten Meeres, eine Gesellschaft zur Verschiffung von Schlittschuhen auf die Südhalbkugel oder sie spekulierten mit unmöglichen Tulpen.“
Tatsächlich sank der Diskontsatz der Bank of England während des 19. Jahrhunderts, mit einer Rekordverschuldung zur Wirtschaftsleistung nach dem Ende der napoleonischen Kriege gegen 1865 bis auf 2 Prozent ab, was dazu führte, dass Sparer plötzlich ihre umsichtig investierten Ersparnisse in allerlei Spekulationen anlegten, wie Hochzinsanleihen zweifelhafter Qualität in lateinamerikanischen Ländern oder in Eisenbahngesellschaften, die Renditen über 20% versprachen aber letztlich meist Pleite gingen.
Das Jahrzehnt von 2010 bis 2020 war von sehr ähnlichen Übertreibungen geprägt
Das die Kurse von Aktien oder anderem Risiko-Kapital wie Bitcoin oder „Startups“ über die vergangenen 10 Jahre so stark liefen, ist für die Kenner der Historie nicht überraschend.
So senkte die Europäische EZB ihren Leitzins am 10. Dezember 2008 von 2,75 auf 2,00 % und hernach bis Frühjahr 2009 erstmals auf 0 %. Später im Herbst 2019 sorgte sie kurzzeitig sogar mit Minuszinsen von -0,5 % für Aufsehen, bevor die Zinsen erstmals im März 2023 wieder über 3,00 % angehoben wurden.
Damit starben praktisch alle durch extrem tiefe Zinsen gestützten Geschäftsmodelle ab, wie auch der Erwerb von Mietimmobilien mittels Fremdkapitals.
Bloomberg berichtete im Zusammenhang mit den 2024 erwarteten Zinssenkungen, dass diese für schuldengeplagte Unternehmen nicht früh genug kommen könnten.
Die Höhe der fällig werdenden US-Unternehmensschulden wird sich in den nächsten zwei Jahren verdoppeln (auf etwa 1 Billion Dollar im Jahr 2025) und in der Eurozone verdreifachen (auf umgerechnet mehr als 400 Milliarden Dollar), wie Daten von Oxford Economics zeigen.
Fazit: Alle 100 Jahre wieder wackelt das Finanzsystem nach einer langen Spekulationsphase
Meine Erwartung einer Zeitenwende an den Finanzmärkten, bringt uns von einem unsoliden „leichten Geld“ mit explosiven Kreditvergabe und Preissteigerungen für Land wieder zurück auf den Teppich. Diese Entwicklung korreliert historisch mit den alle 100 Jahre platzenden Finanzblasen der letzten Jahrhunderte. Geradezu legendär ist uns sicher noch der Aktienmarkt-Crash von 1929 in Erinnerung. Doch auch zuvor kam es wie 1637 (Tulpenblase), 1720 (Südseeblase), 1825 (Panik von 1825) zum Höhepunkt der Finanzblase einer Generation.
Jede Blase kennt eine Geschichte, wobei relativ wenig über die Blase von 1825 bekannt ist, die mit der Ausgabe von Anleihen auf das imaginäre Königreich Poyais des Trickbetrügers Gregor MacGregor gipfelten: Gregor MacGregor, the Prince of Poyais…
Die Lehren aus allen diesen schuldenfinanzierten Finanzblasen ist immer die gleiche: Anleger sollten sich auf den „wahren Wert“ fokussieren, der nichts anderes ist als die mit realistischen Zukunftserwartungen abdiskontierten (also verzinsten) Einnahmen der Zukunft. Der Value-Investor Benjamin Graham, Lehrmeister von Warren Buffett, machte das mit einer für Investoren kompliziert anmutenden, aber mathematisch sehr einfachen Formel ersichtlich und sagte dazu:
„Ein intelligenter Investor ist ein Realist, der seine Aktien an Optimisten verkauft und von Pessimisten kauft“
Demnach ist der innere Wert (V) eines Investments, der Nettogewinn je Aktie (EPS) x (8,5 +2x Wachstumsrate (g) x 4,4 / Y (Zinsen für die 10-jährigen Anleihen von erstklassigen Schuldnern - AAA Unternehmensanleihen).
Demzufolge errechnet sich für den Aktienindex S&P 500 mit den aktuellen Factset-Daten, bei einem Gewinn pro Index-Anteil bei 220 US$ und einer Wachstumsrate von 5% ein fairer Wert von 4.200 Punkten für Ende dieses Jahres und bis Ende nächsten Jahres – ausgehend von den Konsensschätzungen bei 246 US$ EPS – ein fairer Wert von 4.745 Punkten. Diese Betrachtung ignoriert allerdings die Schwierigkeit bei Inflationsrückführung, Rezessionsgefahr und gestiegenen Zinsen 2024 ein historisch starkes Gewinnwachstum von fast 12% zu erreichen, nachdem die Gewinne 2023 mit nur 1% Zuwachs eher enttäuschten. Würde die Gewinnprognose bei 220 US$ konstant bleiben oder sogar fallen, die langfristig erwartete Wachstumsrate auf 3% absinken, könnte der S&P 500 im Rahmen einer unerwarteten Abschwächung und Neubewertung schnell auf 3.300 Punkte um etwa -30% fallen.
Die Bilanzsumme der US-Notenbank sinkt:
Die Bilanzsumme der Fed-Bilanz sank im November um 129 Mrd. auf 7,74 Billionen US$ und damit auf den niedrigsten Stand seit April 2021, wie aus der wöchentlichen Bilanz der Fed hervorgeht. Seit dem Höhepunkt des QE im April 2022 hat die Fed 1,228 Billionen Dollar ihrer Gesamtaktiva abgebaut. Der Abbau geschieht auf dem Wege, dass aktiv keine US-Staatsanleihen mehr gekauft werden.
Meine Meinung: 2024 könnte ein weiteres Krisenjahr werden – auf dem Weg zu tieferen Kaufkursen
Bei Betrachtung der großen Risikobausteine – wie der allgemeinen Aktienbewertung gemessen an der Dividendenrendite des S&P 500 bei nur 1,5% und der Gewinn-Rendite des S&P 500 bei 4,8%, bleibt der weltgrößte Aktienindex in der derzeitigen Zusammenstellung – mit einem hohen Gewicht bei den „glorreichen 7 Tech-Aktien“ derzeit extrem überbewertet.